
Schwedenkräuter und der aus ihnen angesetzte Schwedenbitter gehen zurück auf zwei schwedische Ärzte, die im 17. Jahrhundert ihre Medikamente selbst herstellten – was zu ihrer Zeit ein durchaus übliches Verfahren war. Das Elexir amarum von Urban Hjärne und Claus samst wurde alsbald mit großem Erfolg in Apotheken verkauft. Doch beide folgten nur Paracelsus, der bereits hundert Jahre zuvor mit Kräutermischungen experimentiert hatte und seinerseits wiederum auf Kenntnisse und Erfahrungen einer Hildegard von Bingen aufbaute.
Im 20. Jahrhundert wurde der Schwedenbitter erneut von Maria Treben beschrieben und angewendet.
Ein „Wundermittel“ oder Universal-Heilmittel sind die Schwedenkräuter sicher nicht. Sie fallen eher in die Kategorie „Hausmittel“ und unterstützen dabei, kleinere oder chronische Beschwerden zu lindern oder das Allgemeinbefinden zu verbessern.
An der Wirksamkeit er enthaltenen Kräuter bestehen keine Zweifel. Sie können innerlich wie äußerlich angewendet werden, einzeln oder in Kombination.
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Nur eine Studie ließ sich finden, in der es um die Herstellung traditioneller Schwedenkräutermischungen ging. Der Titel der zugehörigen Publikation von 2016 lautet Making Early Modern Medicine: Reproducing Swedish Bitters, Autoren sind Nils-Otto Ahnfeldt und Hjalmar For, von der Universität Upsala in Schweden.
Das Resümee der beiden Forscher:
Schwedenbitter zusammenzustellen, ist eine komplexe Aufgabe. Häufig sind historische Rezepte gar nicht mehr so reproduzierbar, wie sie ursprünglich erdacht waren. Das scheitert beispielsweise schon daran, dass der ursprünglich erwähnte Theriak kaum noch herzustellen ist. Vergleichsmöglichkeiten fehlen. Schwedenbitter ist unter anderem auch ein Produkt aus einer längst vergangenen Zeit mit anderen Lebenswelten, Wissens- und Erfahrungswerten, als sie heute vorliegen.
Bei der Studie handelt es sich eher um ein historisches Experiment als um ein medizinisches, und es wurden nur sieben Zutaten aus einem alten Rezept von Hjärne aus dem späten 18. Jahrhundert verwendet. Die Pharmakologie hat mittlerweile bestätigt, dass beispielsweise Myrrhe opiat-ähnliche und daher schmerzstillende Komponenten enthält, Safran möglicherweise gegen Krebszellen wirkt. Das Zusammenwirken der einzelnen Komponenten spielt mit Sicherheit ebenfalls eine wichtige Rolle, wie effektiv der Bitter letztendlich einsetzbar ist.
Was ist nun „drin“ und was ist „dran“ an Schwedenkräutern? Existieren vielleicht sogar Studien und Experimente, die das Anwendungsspektrum genauer beleuchten?
In einigen alten Rezepten finden sich nicht weniger als 47 Heilpflanzen und Heilsubstanzen. Ein moderneres Rezept umfasst allein 22 Komponenten (den Kandiszucker mitgezählt).
Deswegen ist es empfehlenswert, sich die Standard-Bestandteile genauer zu betrachten. Jede Mischung weist einige Abweichungen auf. Unterschieden werden im Handel auch „Große und kleine“ Schwedenkräutermixturen angeboten.
Dies sind die Standard-Bestandteile einer gängigen “kleinen Schwedenkräutermischung” nach Maria Treben:
- Angelikawurzel
- Aloe
- Eberwurz-Wurzel
- Kampfer (Naturkampfer)
- Manna canellata (Harz der mediterranen Manna-Esche)
- Myrrhe
- Rhabarberwurzel
- Safran
- Sennesblätter
- Theriak venezian (eine eigene Kräutermischung für sich!)
- Zitwerwurzel
Vor allem die Bitterstoffe haben eine äußerst wohltuende Wirkung auf alle Verdauungs- und Entgiftungsorgane des Körpers.
Entsprechend den variablen Rezepten empfiehlt es sich, einige der Hauptbestandteile genauer zu untersuchen. Zu diesen existieren sehr wohl wissenschaftliche Untersuchungen.
Schwedenkräuter Studie: Engelwurz und Angelikawurzel
Diese traditionelle Heilpflanze ist bekannt als Stoffwechsel anregend, wirksam gegen Krämpfe, Darm- und Magenprobleme aller Art und gegen Bakterien. Im März 2019 befasste sich eine Studie in Sao Paulo, Brasilien (Pharmakologische Fakultät) mit der Wirkung von Engelwurz gegen Krebszellen! Zwar beschränkten sich die Ergebnisse auf Labor und Tierversuch, trotzdem zeigt sich her, welches Potential in vielen dieser Heilpflanzen steckt. Titel der Studie: Medicinal Properties of Angelica Archangelica Root Extract: Cytotoxicity in Breast Cancer Cells and Its Protective Effects Against in Vivo Tumor Development; Carlos Oliveira et al.
Aloe Vera
Die heilende Wirkung von Aloe Vera auf Wunden, Verletzungen und Hautschäden aller Art wurde 2019 an der Arak University of Medical Sciences, Iran, in einer Studie dokumentiert. Die Substanz hält die Haut feucht und elastisch und unterstützt die Heilung signifikant. Die Studie wurde publiziert unter dem Titel The Effect of Aloe Vera Clinical Trials on Prevention and Healing of Skin Wound: A Systematic Review, Davood Hekmatpou et al.
Eberwurz oder Carlina acaulis
Eine Studie der Universität Belgrad und dem dortigen pharmakologischen Institut befasste sich 2012 mit den bioaktiven Inhaltsstoffen der Silberdistel, auch als Eberwurz in den Schwedenkräutern enthalten. Titel der Studienpublikation war Bioactivity Assays on Carlina Acaulis and C. Acanthifolia Root and Herb Extracts, durchgeführt von Sofija Dordevic et al. Sie fanden Apigenin, Luteolin und deren Glykoside mit stark antioxidativer Wirkung. Unter anderem entdeckten sie auch strahlungsschützende und entzündungshemmende Eigenschaften im Pflanzenextrakt. Dazu kommen die magenschützenden und antimikrobiellen Aktivitäten der enthaltenen Flavonoide.
Kampfer
2014 publizierte ein japanisches Forscherteam Ergebnisse zu Kampfer als Heilpflanze. Titel der Studie: Camphor Induces Cold and Warm Sensations With Increa ses in Skin and Muscle Blood Flow in Human; Tomohiko Kotaka et al. Ergebnis war ein Anstieg der Durchblutung im mit Kampfer behandelten Gewebe der Probanden. Dadurch werden Heilungsprozesse wesentlich beschleunigt.
Eine weitere Studie mit dem Titel Camphor Fumigant During the Black Death and a Coveted Fragrant Wood in Ancient Egypt and Babylon Review, publiziert im Jahr 2013 von einem Team der Tshwane University of Technology in Südafrika (Weiyang Che et al.) befasste sich mit der Verwendung von Kampfer und den biochemischen Eigenschaften des Destillats aus Baumrinde. Diese haben sowohl stark heilende als auch toxische Wirkung, je nach Anwendung.
Kampfer wurde schon seit der Antike als Arznei, aber auch als Gift gegen Schädlinge eingesetzt. Fast jeder kennt die typische starke Duftnote, die Erkältungsbalsam mit Kampfer und Menthol ausströmt. Kampfer hat nachgewiesene antibakterielle, antifungizide, zellschützende, hustenlösende und entkrampfende Eigenschaften. Das entscheidende Molekül ist auch in anderen Heilpflanzen oder –ölen enthalten und entfaltet seine Wirkung möglicherweise am stärksten im Zusammenspiel mit andere Arzneien.
Myrrhe
Über Myrrhe, das stark duftende Gummiharz der Myrrhensträucher aus der Familie der Balsambaumgewächse, wurde mehrfach geforscht. Daher sei nur ein Beispiel für biochemische Entdeckungen genannt.
Die betreffende Studie wurde 2017 veröffentlicht. Durchgeführt wurde sie von der Abteilung für Gastroenterologie, Rheumatologie und Infektiöse Erkrankungen, Bereich Ernährungsmedizin/Klinische Physiologie an der Charité in Berlin. AutorInnen sind Rita Rosenthal et al. Der Titel lautet Myrrh Exerts Barrier-Stabilising and -Protective Effects in HT-29/B6 and Caco-2 Intestinal Epithelial Cells.
Untersucht wurden die entzündungshemmenden Eigenschaften der Myrrhe. Erstmals wurde bei dieser Forschungsarbeit bewiesen, dass Myrrhe in der Lage ist, die Epithelzellen im menschlichen Verdauungstrakt gegen verschiedene entzündliche Erkrankungen zu schützen. Die „Darmbarriere“ wird geschützt.
Weitere Studien befassten sich mit der erfolgreichen Behandlung von Darmkrämpfen, Reizdarmsyndrom und andere Magen-Darm-Störungen.
Safran
Über Safran werden seit der Antike Wunderdinge berichtet: Das teure Gewürz soll unter anderem stimmungsaufhellend wirken und, neueren Studien zufolge, die kognitiven Fähigkeiten bei Alzheimer erhalten helfen. Eine weitere Untersuchung enthüllt, dass Safran das Potential besitzt, einer Makuladegeneration entgegenzuwirken.
Von 2015-bis 16 wurde von einem Team der Tehran University of Medical Sciences, Iran eine klinische Studie durchgeführt und publiziert. Der Titel lautet Short-term Outcomes of Saffron Supplementation in Patients With Age-related Macular Degeneration: A Double-blind, Placebo-controlled, Randomized Trial. Alireza Lashay et al;
Dokumentiert wurde die Behandlung von Patienten mit altersbedingter Makuladegeneration Safran als antioxidatives Nahrungsergänzungsmittel erhielten. Der Versuch erstreckte sich über sechs Monate. Die mit 30 mg Safran täglich behandelte Kontrollgruppe konnte eine langsame, Verbesserung der Sehleistung und Erhaltung der Retina-Funktion verzeichnen.
Sennesblätter
Senna oder Sennes zählt zu den Johannsibrotgewächsen und hier zur Familie der Hülsenfrüchte. Die für medizinische Zwecke verwendete Unterart wird als Senna alexandrina bezeichnet. Schon in der Antike und im Mittelalter wurden Blätter wie Früchte zu Heilzwecken benutzt, und zwar von Indien bis Mitteleuropa. In der Volksmedizin galt Sennes stets als sehr starkes und vielseitiges Heilmittel mit vielfältiger Wirkung.
2017 ermittelte die European Medicine Agency Einsatzmöglichkeiten von Sennesblättern anstelle von herkömmlichen Arzneien im Krankenhaus. Titel der Zusammenfassung:
Assessment report on Senna alexandrina Mill. (Cassia sennaL.; Cassia angustifoliaVahl)1, folium and fructus.
Zu behandeln galt es beispielsweise Verstopfungszustände nach Verabreichung von opiathaltigen Schmerzmitteln, die bekanntlich den Darm lahm legen oder bei länger bettlägerigen Patienten. Auch die Darmreinigung vor bestimmten Untersuchungen (Colonoskopie und Darm-Röntgen) stand zur Debatte. Getestet wurden Tee, Granulate und Früchte der Sennespflanze. Für Kinder unter 12 Jahren sind diese Zubereitungen nicht geeignet. Bei älteren Patienten erwiesen sie sich jedoch als mildes aber effektives Mittel, um die Darmbewegung und den Stoffwechsel wieder anzuregen. Toxisch wirken Sennes-Extrakte nur bei längerfristiger Einnahme und bei sehr hoher Dosierung.
Zitwerwurzel
Wichtiger Bestandteil der Schwedenkräutermischung ist die Zitwerwurzel. Dabei handelt es sich um das Rhizom der Zitwer, auch als Weiße Curcuma, Curcuma zedoaria oder auch Safranwurz bekannt. Die Pflanze ist mit den Zingiberaceae, den Ingwergewächsen eng verwandt und stammt ursprünglich aus Indien und Ostasien.
Im Tierversuch wurde eine Zubereitung aus Zitwerwurzel zur Behandlung von Ratten mit Arthritis verwendet, die Tiere in die üblichen Gruppen eingeteilt und beobachtet, anschließend geröntgt. Titel der Publikation von 2011 ist Effect of Curcuma zedoaria Rosc root extracts on behavioral and radiology changes in arthritic rats, Madan L. Kaushik et al. Die Studie wurde in der Fakultät für Pharmakologie an der Universität von Karnataka, Indien, durchgeführt.
Bemerkenswert war, dass sich während der Einnahme das Verhalten der Tiere deutlich veränderte: Nervöse Zustände, Reaktionen und Verhaltensweisen, die auf Schmerzen zurückzuführen waren, klangen deutlich ab. Die abschließenden Röntgenbilder zeigten einen signifikanten Rückgang von Gewebeschwellungen und Entzündungsgeschehen am betroffenen Gelenk. Die Gelenkspalten und die Knorpelstrukturen hatten sich nicht zum Schlechteren verändert.
Bei der Einnahme wurden keinerlei toxische Reaktionen beobachtet. Zitwerwurzel scheint also eine von mehreren Komponenten zu sein, die zur Wirksamkeit von Schwedenkräutern bei Entzündungen und degenerativen Erkrankungen im Bewegungsapparat hilfreich sind, und zwar bei innerlicher wie äußerlicher Anwendung.
Rhabarberwurzel
Die Abteilung für Innere Medizin und Naturheilkunde am Universitätsspital Zürich veröffentlichte Beobachtungen zur Behandlung von Herpes Labialis mit einer Kräuterarznei, die Rhabarberwurzel-Extrakt enthält. Publiziert wurden die Versuchsergebnisse im Jahr 2001, Autoren sind R. Saller et al., der Titel lautet Combined Herbal Preparation for Topical Treatment of Herpes Labialis.
Der Herpes-Virus, der Lippenherpes hervorruft, ist nur schwer in Schach zu halten. Getestet wurde, ob und die schnell sich die Bläschen jeweils eindämmen ließen. Eine Salbei-Zubereitung ließ die Herpes-in etwa sieben Tagen abheilen, die kombinierte Rhabarberwurzel-Salbei-Crème beschleunigte die Heilung um einen Tag und war damit nicht signifikant langsamer als das antivirale Medikament, die Zovirax-Creme. Die Rhabarberwurzel-Zubereitung ließ die Schwellung langsamer abklingen als Zovirax, allerdings linderte sie die Schmerzen und das Jucken sehr viel effektiver.
Das soll nicht zu dem Gedanken führen, dass Schwedenkräuter unmittelbar gegen Herpes wirken. Doch das Potential, das Immunsystem zu stärken und Virenausbreitung möglicherweise zu begrenzen, existiert.